Alkohol: Die gesellschaftliche Blindheit
85% der Schweizer trinken. 250'000 sind abhängig. Und trotzdem gilt Abstinenz als erklärungsbedürftig, nicht der Konsum. Über die normalisierteste aller Drogen.
250'000
Abhängige in der CH
4.2 Mrd.
CHF jährliche Kosten
85%
trinken gelegentlich
Das Normalitätsproblem
Alkohol ist in der Schweizer Kultur tief verankert. Das Feierabendbier, der Apéro, der Wein zum Essen: Trinken ist nicht nur akzeptiert, es wird erwartet. Wer ablehnt, muss sich rechtfertigen.
Diese gesellschaftliche Normalisierung macht Alkohol besonders gefährlich. Anders als bei illegalen Drogen gibt es kaum soziale Barrieren, die den Einstieg erschweren. Die Substanz ist billig, überall verfügbar und kulturell integriert.
Die Zahlen dahinter
2024 betrug der Pro-Kopf-Konsum in der Schweiz 7.6 Liter reinen Alkohols. Mehr als 15% der Bevölkerung haben einen risikoreichen Konsum, das sind über 1 Million Menschen. Rund 4% trinken chronisch risikoreich.
Die Folgen:
- Rund 1'600 alkoholbedingte Todesfälle pro Jahr
- Todesursache Nr. 1 bei 15-24-Jährigen (in Kombination mit Unfällen)
- Erhöhtes Risiko für über 200 Krankheiten, darunter Krebs
- Zehntausende betroffene Kinder in suchtbelasteten Familien
Der wirtschaftliche Schaden durch Alkohol beträgt etwa 4.2 Milliarden Franken jährlich: durch Arbeitsausfall, Behandlungskosten und Frühverrentung. 80% davon tragen Betriebe und Gesellschaft.
Warum Alkohol so tückisch ist
Anders als bei schnell wirkenden Drogen entwickelt sich Alkoholabhängigkeit meist schleichend. Der Übergang von „normalem" Trinken zu riskantem Konsum ist fliessend und wird oft erst spät erkannt.
Hinzu kommt: Alkoholentzug kann körperlich gefährlich sein. Während der Entzug bei den meisten anderen Substanzen unangenehm, aber nicht lebensbedrohlich ist, können schwere Alkoholentzugssymptome (Delirium tremens) ohne medizinische Begleitung tödlich enden.
Das Schweigekartell
In vielen Familien wird Alkoholabhängigkeit nicht thematisiert. Angehörige schützen den Trinkenden, decken Ausfälle, entwickeln Co-Abhängigkeiten. Kinder in suchtbelasteten Familien lernen früh, dass über das Problem nicht gesprochen wird.
Dieses Tabu erschwert den Zugang zu Hilfe. Wer sein Problem anerkennt, stellt sich gegen den gesellschaftlichen Konsens, dass Trinken normal ist. Das braucht Mut und oft einen langen Leidensweg.
Wege aus der Abhängigkeit
Alkoholtherapie ist vielschichtig und oft langwierig. Sie umfasst in der Regel:
- Entgiftung: Medizinisch begleiteter Entzug, oft stationär
- Entwöhnung: Auseinandersetzung mit den Ursachen und Triggern
- Nachsorge: Langfristige Begleitung, Selbsthilfegruppen
Ambulante Angebote wie das Blaue Kreuz oder die UPK Basel bieten niederschwellige Einstiege. Sucht Schweiz informiert umfassend über Alkoholabhängigkeit. Für die Arbeit an tiefer liegenden Mustern können ergänzende Methoden sinnvoll sein, insbesondere solche, die das Unterbewusstsein adressieren, wo viele der aufrechterhaltenden Muster verankert sind.