Cannabis: Zwischen Genuss, Gewohnheit und Flucht
Weder Wundermittel noch Teufelszeug. Cannabis ist komplex: in seiner Wirkung, seinem Abhängigkeitspotenzial und seiner gesellschaftlichen Bewertung. Ein differenzierter Blick.
Die Wirkung im Gehirn
THC, der psychoaktive Hauptwirkstoff in Cannabis, bindet an Cannabinoid-Rezeptoren im Gehirn, vor allem an CB1-Rezeptoren im limbischen System und im präfrontalen Cortex. Das Ergebnis: Entspannung, veränderte Zeitwahrnehmung, intensivierte Sinneseindrücke, manchmal Euphorie.
Cannabis aktiviert das Belohnungssystem, aber deutlich weniger intensiv als Substanzen wie Kokain oder Amphetamine. Die Dopaminausschüttung liegt etwa doppelt so hoch wie bei natürlichen Belohnungen, bei Amphetaminen ist es das Zehnfache.
Das erklärt, warum das körperliche Abhängigkeitspotenzial von Cannabis vergleichsweise gering ist. Es erklärt aber nicht, warum manche Menschen trotzdem in einen problematischen Konsum rutschen.
Wann wird es problematisch?
Die entscheidende Frage ist nicht primär die Häufigkeit des Konsums, sondern die Funktion. Problematisch wird es, wenn Cannabis zur Standardstrategie wird für:
- Stressbewältigung und Entspannung
- Flucht vor unangenehmen Gefühlen oder Gedanken
- Einschlafen und Schlafregulation
- Soziale Situationen und zwischenmenschlichen Kontakt
Wer ohne Cannabis nicht mehr abschalten kann, nicht mehr schlafen kann, nicht mehr fühlen will, der hat ein Problem, auch wenn keine körperliche Abhängigkeit vorliegt.
Etwa 9% der Cannabiskonsumenten entwickeln eine Abhängigkeit. Bei Menschen, die im Jugendalter beginnen, steigt diese Zahl auf etwa 17%. Bei täglichem Konsum liegt sie bei 25-50%.
Besondere Risiken
Jugendliche: Das Gehirn entwickelt sich bis etwa zum 25. Lebensjahr. Regelmässiger Cannabiskonsum in dieser Phase kann die Hirnentwicklung beeinträchtigen, insbesondere im präfrontalen Cortex. Studien zeigen Zusammenhänge mit verminderter Impulskontrolle und kognitiven Einschränkungen.
Psychische Vorbelastung: Bei Menschen mit einer Veranlagung für Psychosen kann Cannabiskonsum den Ausbruch beschleunigen oder die Symptome verstärken. Das betrifft eine Minderheit, aber für diese ist das Risiko erheblich.
Hochpotente Produkte: Der THC-Gehalt von Cannabis hat sich in den letzten Jahrzehnten vervielfacht. Produkte mit 20-30% THC sind heute keine Seltenheit. Gleichzeitig ist der CBD-Anteil (der dämpfend wirkt) gesunken. Höhere Potenz bedeutet höheres Risiko.
Die Schweizer Situation
Die Schweiz verfolgt einen zunehmend pragmatischen Ansatz. Der Besitz von bis zu 10 Gramm ist entkriminalisiert (aber nicht legal). Mit dem Pilotprojekt Weed Care in Basel wird erstmals die kontrollierte Abgabe wissenschaftlich untersucht.
Erste Ergebnisse zeigen: Kontrollierter Zugang zu Produkten mit bekanntem THC-Gehalt kann das Konsumverhalten positiv beeinflussen. Die Teilnehmenden berichten von besserem Kontrollempfinden und weniger Angstsymptomen.
Wege aus dem problematischen Konsum
Die Sucht Schweiz bietet umfassende Informationen zu Cannabis. Da körperliche Entzugssymptome meist mild sind, liegt die Herausforderung vor allem im Aufbau alternativer Bewältigungsstrategien. Wer Cannabis als Problemlöser nutzt, muss lernen, Probleme anders zu lösen.
Effektive Ansätze arbeiten daher mit den Funktionen, die der Konsum erfüllt: Stressbewältigung, Emotionsregulation, Schlaf. Die Neuprogrammierung von Gewohnheiten kann dabei helfen, auf tieferer Ebene neue Muster zu etablieren, jenseits von Willensanstrengung und Selbstdisziplin.